Wie „wahr“ ist Wahrnehmung? – Visuelle Illusionen und Halluzinationen

Im Laufe des Tages stürmen unzählige Informationen auf uns ein – Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen: In jedem Auge befinden sich mehr als 100Mio. Lichtsinneszellen, jedes Ohr besitzt ca. 15.000 Hörzellen und die Haut enthält an den empfindlichsten Stellen mehrere Hundert Rezeptoren auf einer Flächengröße von einem 1 Cent-Stück. Jeder dieser Rezeptoren liefert bis zu 1.000 Impulse pro Sekunde. Im Gehirn muss die Flut an Daten dann schnell verarbeitet werden, um ein passendes Verhalten veranlassen zu können.
Zur Bewältigung der Datenflut verwendet das Gehirn einige „Tricks“, um die Datenmenge in sehr kurzer Zeit massiv reduzieren zu können. Das bleibt nicht ohne Folgen…

Wie „wahr“ ist Wahrnehmung?

Die Reduktion der Datenmenge erfolgt auf der Basis unser bisherigen Erfahrungen. Viele Dinge können wir nur wahrnehmen, weil wir sie kennen und ein gewisses Vorwissen haben.
Das Gehirn entscheidet sich oft für die wahrscheinlichste, beziehungsweise uns am besten bekannte Interpretation. Dabei berücksichtigt es neben der Erfahrung auch Fakten wie den Lichteinfall und Schatten.
Fehler in der Interpretation von Daten können aber auch auf die Struktur unserer Sinnessysteme zurückzuführen sein. So wird in unserem Auge die drei-dimensionale Welt auf der zwei- dimensionalen Netzhaut abgebildet. In vielen Fällen ist es daher rein mathematisch unmöglich, die „wahre“ räumliche Welt zu errechnen. Unser Sehsystem muss zwischen unendlich vielen, möglichen Interpretationen auswählen.
Viele optische Illusionen funktionieren, indem sie dem Gehirn zu wenige oder mehrdeutige Hinweise zur Interpretation des Gesehenen liefern.

perspektivische tauschung 3 Zylinder

Durch die Perspektive ergibt sich ein Bildraum. Aus Erfahrung wissen wir, dass Dinge, die weiter hinten sind, optisch kleiner sind. Die drei Zylinder haben eigentlich die identische Größe, aber durch die perspektivischen Linien sieht es so aus, als wäre der rechte Zylinder größer als der linke.

Relativität von Linien

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Im Beispiel scheinen die Querbalken keilförmig zu sein – in Wahrheit sind alle horizontalen Linien exakt parallel, und die Querstreifen sind Rechtecke. Die Illusion kann über einen Helligkeitskontrast erklärt werden. Sind die Reihen schwarzer und weißer Felder durch schmale graue Linien getrennt, dann nimmt man diese zwischen schwarzen Feldern als deutlich heller wahr und zwischen hellen Feldern dunkler. Die Wahrnehmung verbindet nun die hell erscheinenden Linienabschnitte mit den Ecken der hellen Felder und entsprechend die dunkel erscheinenden Liniensegmente mit den Ecken der dunklen Felder. Diese subjektiven Konturen werden als zur Horizontalen geneigt wahrgenommen und lassen deshalb die Rechtecke keilförmig erscheinen

Relativität von Helligkeit

Die Wahrnehmung von Helligkeitsunterschieden ist sehr subjektiv. Ein Farbton, den wir in der Dämmerung als hell wahrnehmen, erscheint bei Sonnenlicht dunkel, und andersherum. Physikalisch ist diese Interpretation korrekt.

Welche der beiden Flächen ist heller A oder B?

Das Quadrat B rechts im Bild liegt im Schatten. Dem Muster folgend muss es ein weißes Quadrat sein, viel heller als das dunkle Quadrat A. Absolut betrachtet sind beide Quadrate jedoch gleich hell.

Bewegungsillusionen

 

Eine Bewegungsillusion tritt z.B. auf, wenn man ein kleines Objekt vor einer Umgebung betrachtet, die keine Anhaltspunkte für die räumliche Lage gibt. Ein einsamer Stern am dunklen Himmel scheint sich zu bewegen.

 

Statische Bilder können eine Bewegungsillusion hervorrufen, ohne dass man seinen Kopf bewegt. Die Ursache findet sich in wiederholten Mustern innerhalb derer sich unterschiedlich starke Kontraste befinden. Durch die unterschiedlich schnelle Weiterleitung von unterschiedlich starken Kontrasten und Helligkeiten in der Peripherie der Retina kommt es in den nachgeschalteten Ebenen der visuellen Verarbeitung (Stichwort: Reichardt-Detektoren) zur Falschverarbeitung und somit zur Fehlinterpretation.

Kreisillusion

Visuelle Halluzinationen nach Schädigung des Sehsystems

Neben solchen visuellen Illusionen können nach einer Schädigung des Sehsystems im Gehirn, z.B. nach einem Schlaganfall, auch visuelle Halluzinationen auftreten. Die Betroffenen „sehen“ Farben, Objekte oder Bewegungen im Bewusstsein, dass diese nicht real sein können. Manchmal sehen sie auch Bilder oder Szenen „zu spät“, sie wissen, dass die entsprechende Situation bereits einige Zeit zurückliegt. Viele sprechen nicht darüber, weil sie Angst haben, als verrückt abgestempelt zu werden. Die genauen Ursachen dieser Halluzinationen sind nach wie vor ungeklärt. Es wird vermutet, dass sie entweder durch krankheitsbedingte Überaktivierung, oder Verlust von hemmenden Einflüssen auf neuronale Strukturen an der Grenze zum geschädigten Areal hervorgerufen werden.

Eine Studie von Poggel at al. hat gezeigt, dass visuelle Halluzinationen im Gegenteil als eher positives Zeichen gesehen werden können, da sie oft im Zusammenhang mit spontaner oder therapiebedingter Funktionserholung auftreten. In der untersuchten Patientengruppe erlebten viele Patienten Halluzinationen unmittelbar nach der Schädigung. Nachdem sich die Sehfunktionen soweit wie möglich wieder erholt hatten (Spontanremission mit Gesichtsfeldvergrößerung), klangen auch die Halluzinationen ab.

Wurde eine Visuelle RestitutionsTherapie begonnen, sind Halluzinationen häufig erneut aufgetreten, meistens in Form von einfachen Lichtblitzen oder –punkten, vor allem bei Patienten mit besonders deutlicher Gesichtsfeldverbesserung und meistens dann, wenn die visuelle Verbesserung am intensivsten war. Ort der Wahrnehmung der Halluzinationen war der blinde Gesichtsfeldbereich, insbesondere Bereiche mit Restsehfähigkeit, in denen dann Verbesserungen eintraten.

Wie bereits oben erwähnt, sollte man aufgrund dieser Erkenntnisse Halluzinationen nicht global als pathologische oder unwichtige Symptome abtun, da sie funktionelle Indikatoren von Plastizität im Sehsystem sein können.

Quellen:

Poggel_etal_Visual hallucinations during spontaneous and training-induced visual field recovery_Neuropsychologia (45)2598–2607

https://www.dasgehirn.info

https://de.wikipedia.org/wiki/Optische_T%C3%A4uschung

http://www.smileeyes.de/infocenter/behandlung/augenheilkunde/das_auge.php?thema=auge

https://www.dasgehirn.info/wahrnehmen/truegerische-wahrnehmung/wenn-der-eindruck-taeuscht

Gehirn & Wahrnehmung von Karl R. Gegenfurtner, 4. Auflage: Juli 2006

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